Die große Romantik
Ein Gespräch mit GMD Fabrice Bollon zum 6. Sinfoniekonzert
Herr Bollon, Sie dirigieren als Generalmusikdirektor und Chefdirigent das 6. Sinfoniekonzert der Staatskapelle in dieser Spielzeit. Was für ein Programm erwartet das Publikum denn?
Dieses Programm hat, wenn man so will, mehr oder weniger das Motto »Die große Romantik«. Wir haben eine ganz große Sinfonie von Bruckner mit großem romantischem Gestus. Das ist Musik, die sehr gut in die Ohren geht, die auch sehr viel Schmelz hat – etwa eine große Passage für Blechbläser. Das ist etwas, das vielleicht sogar noch im Film gut funktionieren würde. Wir beginnen aber mit einer Ouvertüre von Wagner zum Thema Faust. Das ist Früh-Wagner – also gar nicht diese komplexen oder langen Geschichten, die ohne Ende sind, sondern im Gegenteil: sehr komprimiert. Das ist sehr emotional mit sehr, sehr viel Bewegung drin – das Werk von einem jungen Mann. Und dazwischen von einem noch lebenden Komponisten, Pēteris Vasks, ein Stück, das auch hochromantisch ist. Das ist überhaupt nicht schwierig anzuhören. Es bewegt sich sogar zum Teil ganz nah an bestimmten Formen von nordischer Volksmusik. Besetzt sind nur Streicher: Eine Solo-Geige und ein Streichorchester. Das ist ein Werk, das sehr, sehr viel Emotionalität transportiert aber in einer anderen Form als die von Bruckner oder die von Wagner. So eine Emotionalität aus unserer Zeit. Allerdings auch etwas, was nicht soweit weg ist von einer bestimmten Form von Filmmusik.
Pēteris Vasks‘ Violinkonzert „Distant Light“ von 1993 ist ein zeitgenössisches Werk. Mit welcher Idee haben Sie es in ein Programm mit Werken von Wagner und Bruckner aufgenommen?
Was Pēteris Vasks sehr bewegt ist, dass jede Note eine große Intensität haben soll. Das ist etwas, was ihn letztendlich mit den Romantikern verbindet. Allerdings ist es keine Musik des 19. Jahrhunderts, also kein Pseudo-Neo-Romantizismus oder so etwas. Es ist etwas sehr Persönliches, Originelles, das aber gleichzeitig einen Kontrast zu den beiden großen Werken oder großen Komponisten des 19. Jahrhunderts bildet. Und es ist etwas, das auf der anderen Seite über seine Emotionalität den Abend rund macht.
Mit Wagners Faust-Ouvertüre dirigieren Sie in dieser Spielzeit bereits zum dritten Mal eine musikalische Interpretation von Goethes Klassiker. Was interessiert Sie an diesem Thema?
Es gibt sehr viele Vertonungen von Faust, allerdings interessanterweise kaum deutsche. Es gibt ein paar aber die sind nicht über die Geschichte gekommen. Wir spielen ja den Faust von Gounod in der Oper. Hier eben in der französischen Version des Faust, die letztendlich mehr mit Margarethe zu tun hat als mit Faust. Deswegen fand ich es interessant, im Konzert diese Faust-Thematik noch ein bisschen zur reflektieren. Wie haben andere dieses Thema betrachtet? Im Fall unseres ersten Sinfoniekonzertes, wie es eine Französin gesehen hat – sehr viel filigraner, sehr viel feiner als bei Gounod. Kein großer Gestus. Und jetzt bei Wagner: Es gibt nicht sehr viel Mephistopheles in der Ouvertüre. Es gibt aber sehr viel Faust: Sehr viel von einem Mann, der sucht, der nicht findet, der ein bisschen verzweifelt ist. Das ist das, was Wagner hauptsächlich in seiner Ouvertüre darstellt: Die endlose Suche von Faust nach etwas, von dem er selber vielleicht nicht mal weiß, was es ist.
Mit welchem Gefühl, in welcher Stimmung möchten Sie persönlich das Publikum gerne nach diesem romantischen Programm aus dem Konzertsaal entlassen?
Ich hoffe, dass wir über die Musik die Menschen dazu bringen können, Neugierde zu entwickeln und zu entdecken, dass es in der Welt des Menschen so viele verschiedene, tolle Werke gibt. Werke, die davon zeugen, dass der Mensch nicht nur Krieg führt, sondern auch etwas ganz anderes erreichen kann; nicht nur an Geld denkt, sondern auch in ganz abstrakten, idealistischen Formen. Und das kann man über die Musik wunderbar ausdrücken. Das Konzert ist fast ein bisschen wie eine Messe, wenn Sie wollen. Man geht ins Konzert und erlebt so etwas wie eine gemeinsame Meditation
Der 1965 geborene Pariser Fabrice Bollon ist seit Spielzeit 2022 / 2023 Generalmusikdirektor und Chefdirigent der Staatskapelle an den Bühnen Halle. Er war unter anderem bis 1998 Assistent bei den Salzburger Festspielen, 1996 bis 2000 Chef des Sinfonieorchesters von Flandern, 2000 bis 2004 stellvertretender GMD der Oper Chemnitz. 2009 bis 2022 amtierte der Schüler von Michael Gielen, Nikolaus Harnoncourt, Georges Prêtre und Mauricio Kagel als Generalmusikdirektor am Theater der Stadt Freiburg im Breisgau.